Die Kulturschaffenden Finkenwerders in der Zeit des „Dritten Reiches“

Vortragsveranstaltung des Finkenwerder Arbeitskreises Außenlager DW des KZ Neuengamme
in Zusammenarbeit mit der Bücherhalle Finkenwerder am 9.5.2001, 19.00 Uhr
 

Das Thema „Die Kulturschaffenden Finkenwerders in der Zeit des 3. Reiches“ ist ein erster
Anfang zu dem sehr viel umfangreicheren Gebiet des soziokulturellen Umfeldes der NS-Zeit in Finkenwerder. Wenn, wie nicht nur in Finkenwerder, dieser Geschichtsabschnitt in der ortsgeschichtlichen Literatur fast durchgängig ausgeblendet oder verharmlosend dargestellt wird, so muss das bestimmte Gründe haben. Schaut man sich die Namen von prominenten Personen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland an, so sind es häufig dieselben Namen. Selbst solche Leute, die aktiv die Nazis unterstützt haben oder gar an führenden Stellen des Systems gewirkt haben, konnten nach ihrer „Entnazifizierung“ nach relativ kurzer Zeit wieder führende Posten in Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Kultur übernehmen. Diese Personen waren um ihres Ansehens und ihrer Karriere willen natürlich darum bemüht, ihre Rolle in der NS-Zeit vergessen zu machen oder mindestens herunterzuspielen. Gegner der Nazis, die das Grauen der KZ-Haft überlebt hatten oder der Verfolgung entgehen konnten, waren zahlenmäßig nur noch schwach präsent.
Trifft diese allgemeine Tendenz auch für Finkenwerder zu? Diese Frage drängte sich dem Arbeitskreis bei der Durchsicht der vorliegenden ortsgeschichtlichen Literatur förmlich auf, so dass wir uns entschieden haben, einige Personen der Finkenwerder Kulturszene näher zu betrachten.

Es geht uns dabei nicht darum, bestimmte Personen zu diskriminieren oder zu glorifizieren, sondern um eine kritische Würdigung unter Einbezug der Zeit des 3. Reiches, so wie Bundespräsident a.D. Herzog es formuliert hat : „ …ohne gründliches Wissen um seine Geschichte kann… kein Volk bestehen… es (ist) gut beraten mit seiner ganzen Geschichte zu leben und nicht nur mit ihren guten und erfreulichen Seiten.“)

Adolf Albershardt und die Speeldeel im 3. Reich
Wer sich mit der neueren Geschichte Finkenwerders beschäftigt, wird stets auf die Person von
A. Albershardt sen. treffen, meistens in Zusammenhang mit der Speeldeel, die er 1936 nach der 700-Jahr-Feier neu begründete. Während in Publikationen nach dem 2.Weltkrieg die Speeldeel als Gesangsgruppe zur Pflege des Finkenwerder Brauchtums und der plattdeutschen Sprache betont wird und sogar behauptet wird, A.A.sen. habe es geschafft, diese Gruppe in der Zeit des 3.Reiches aus NS – Verbänden herauszuhalten, können wir in der Erstausgabe des „Finder“ von 1940 lesen, dass diese Gruppe sich als „Kampfgruppe zur Erhaltung und Sicherung des Volkstums“ verstand und A.A.sen. bewußt den Anschluß an die NS-Organisation KdF (Kraft durch Freude) gesucht habe.

Mit Stolz verweist A.A.sen. darauf, bei vielen Veranstaltungen der KdF und auch beim Führerbesuch auf Helgoland dabei gewesen zu sein. Ob und in welchem Maße die Speeldeel damals als Vermittlerin der NS-Ideologie tätig geworden ist, bleibt zu erforschen. In der „Finder“-Ausgabe von 1951 hat A.A. sen. „einige kleine Berichtigungen“(die Aussagen zur NS-Zeit betreffend) im Auftrag des „Vereins für Hamburgische Geschichte“ vorgenommen, ohne dass eine Auseinandersetzung mit der Zeit des 3. Reich´s stattfand. Nach dem Krieg formte A.A.sen die Speeldeel zu einer Folkloregruppe um und organisierte in Finkenwerder die „Feste der Nationen“. Für diese völkerverbindende Arbeit erhielt er 1964 das Bundesverdienstkreuz und eine Straße in Finkenwerder wurde nach ihm benannt.

Adolf Albershardt, * 1892 1969, Lehrer in Finkenwerder von 1911- 1956, 1922 Mitbegründer des Gewerbe-und Verkehrsvereins, nachmaligem Heimatverein. Speelboos der Speeldeel von 1936-1969.

Die Malerinnen und Maler
Während die auf Finkenwerder ansässigen Marine-Maler in der ortsgeschichtlichen Literatur ausführlich behandelt werden, erfahren Eduard Bargheer und Anna Andersch-Markus nur sporadische Erwähnung, Gretchen Wohlwill wird nur einmal namentlich genannt.

Eduard Bargheer, geb.1901,
gebürtiger Finkenwerder. Nach einem Lehrerstudium mit einer Ausbildung zum Kunsterzieher entschied er sich jedoch für eine Laufbahn als freier Künstler. Sein erstes Atelier war die Neßkate, seine ersten Aufträge die Portraits der Kinau-Eltern, die Ausmalung des Wasserturms und Wandgemälde in der Gorch-Fock-Halle. 1938 muß die Neßkate den Flugzeugwerken weichen, Bargheer zieht in eine zuvor erworbene Fischerhütte in Blankenese. 1939 übersiedelt er nach Folio auf Ischia und kehrt erst nach dem Krieg nach Hamburg zurück, hat viele erfolgreiche Ausstellungen, lehrt als Dozent in Hamburg und Berlin. 1979 stirbt Bargheer in Hamburg und wird auf Finkenwerder begraben.

Gretchen Wohlwill, geb. 1878,
war keine gebürtige Finkenwerderin, lebte und arbeitete aber hier ab 1933 nachdem die Nazis sie wegen ihrer jüdischen Herkunft aus dem Hamburger Schuldienst entlassen hatten (Sie war Kunsterzieherin am Helene-Lange-Gymnasium.) Ab 1927 war sie mit E.Bargheer befreundet, mit dem sie viele Studienreisen unternahm. Beide sind Mitglieder der Künstlervereinigung „Hamburger Sezession“, deren Ausstellung im Jahre 1933 wegen „Entartung“ von den Nazis geschlossen wird. 1939 gelingt ihr die Flucht nach Portugal.Ein Bruder und eine Schwester von ihr werden von den Nazis im KZ umgebracht. 1952 kehrt sie dennoch nach Hamburg zurück und ist, wie auch in Portugal, künstlerisch aktiv. 1962 stirbt G.Wohlwill in Hamburg.

Anna Andersch-Markus, geb.29.5.1914,
studierte Grafik und Malerei in Kiel und Berlin. Nach 1933 verweigerte sie den Eintritt in den NS-Studentenbund und den Hitlergruß. Damit geriet sie auf die „Schwarze Liste“ und erhielt Studierverbot. 1937 heiratete sie ihren Studienkollegen Carl-Adolf Kinau (Sohn Gorch Focks).
Mit Kriegsbeginn kam sie nach Finkenwerder und stand unter Polizeiaufsicht. Trotz Verbots malte und zeichnete sie, oft nur für ein„Ei und Butterbrot“, um ihre Kinder zu ernähren. Viele Fischer halfen ihr in dieser Zeit Nach dem Krieg blieb sie in Finkenwerder als freischaffende Künstlerin. 1949 heiratete sie den Grafiker Martin Andersch. Am Reetputt, mit Blick auf den Rüschkanal, hatten sie ihre Atelierwohnung. Heute lebt sie, auf ein erfolgreiches Künstlerleben zurückblickend, hochbetagt mit ihrem Mann Schlomo Markus in Israel, noch immer künstlerisch und sozial aktiv.

Die Schriftsteller Johann, Rudolf und Jakob Kinau
in der Nazi-Zeit. (Vortrag von Dr. Reinhard Goltz) Gorch Fock -oder bürgerlich Johann Kinau- der älteste der drei, geb. 1880, gest.1916 in der Seeschlacht vor dem Skagerak, zählt zu den Literaten, deren Werke und deren Präsenz in der Öffentlichkeit während der Nazi-Zeit eine Renaissance erlebten….Die See, Deutschtum, Stolz, Schicksalsergebenheit, Kampfbereitschaft und vor allem heldische Züge – solche Konnotationen waren schon direkt nach dem Tod des Obermatrosen Johann Kinau toposartig mit dem Namen Gorch Fock in Verbindung gebracht worden…

Solche Leitfiguren… wurden 1933 gezielt gesucht und entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie als Führergestalten proklamiert…. Hinrich Wriede z.B.erscheint Gorch Fock als Schriftsteller, der „der Stimme …des genpanisch-nordischen Blutes Gestalt zu geben vermochte“ und erklärt ihn zum „Wegbereiter des Nationalsozialismus“. Betrachtet man Leben und Werk von Rudolf und Jakob Kinau während der Zeit des deutschen Faschismus, so wird rasch augenscheinlich, daß Gorch Fock für sie einen wesentlichen Kristallisationspunkt darstellte. Jakob Kinau, (1884-1965) war Wasserzollbeamter und Vorsitzender dessen Gewerkschaft. 1933 wurde diese Gewerkschaft gleichgeschaltet, er wurde in den Innendienst versetzt und erlitt einen Nervenzusammenbruch, aufgrund dessen er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde.

Mit eigenen schriftstellerischen Arbeiten und vor allem mit Anthologien von Werken seines Bruders Gorch Fock, versucht er seine Pension aufzubessern. Die ideologische Grundhaltung in seinen schriftstellerischen Arbeiten fügt sich nahtlos in die zeittypische Nationalliteratur ein. Eine wesentliche Bezugsgröße bildet sein Bruder Gorch Fock, aus dessen Schatten er sich nicht lösen kann oder will. Eine Bindung zur NS-Kulturpolitik läßt sich jedoch nicht nachweisen.
Rudolf Kinau, (1887-1975) entschließt sich 1932 freier Schriftsteller zu werden. Der Machtübernahme der Nazis steht er zunächst skeptisch gegenüber: „wi hebbt ’n nee Regierung kregen…mi is door bang bi“…, verfaßt aber schon 1934 einen plattdeutschen SA-Schwur :

„Ick will to mien’n Führer Adolf Hitler stoon, will em un sein Hülpslüüd hoochhoo!n un will giern un good allens doon, ‚rat se mi seggt…“

Doch bei aller fragwürdigen Moral und bei allen eindeutig nationalsozialistisch ausgerichteten Zusammenhängen, in die seine Publikationen sich einreihen, fällt auf, daß er Wörter wie „Juden“ oder „Rasse“ vermied. Dies zeigt daß Rudolf Kinau´s Anpassungsbereitschaft doch Grenzen gesetzt waren. Nach dem Krieg erhielt er zunächst von den Engländern Schreibverbot, konnte aber bald wieder als Rundfunk-Autor Fuß fassen.