Zwangsarbeiterinnen in Finkenwerder

11. November 2002 Gedenkveranstaltung
DER 09. NOVEMBER 1938

Der Terror gegen die Juden und die Zerstörung ihrer Synagogen in der Pogromnacht vom 09. auf den 10. November 1938 sollte die Juden weiter isolieren, demütigen und zur Auswanderung zwingen. Vorangegangen waren die Aufhebung wichtiger Grundrechte der Menschen, Boykotte jüdischer Geschäfte, das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ mit einem Arierparagrafen bereits 1933.

Mit der Bücherverbrennung vom 10.05.35 wurden die Werke demokratischer Autoren dem Feuer übereignet. Im gleichen Jahr wurden die Nürnberger Gesetze zum Schutz des deutschen Blutes und der Ehre erlassen. Die verharmlosend genannte „Reichskristallnacht“ am 09. November 1938 demaskierte endgültig die Nazis. Die Diktatur zeigte ihr wahres Gesicht. Spätestens von da an konnte jeder erkennen, wozu dieses verbrecherische System in der Lage war.

Zwischen der Machtübernahme Hitlers 1933 und dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 hatte die NSDAP als Staatspartei die Opposition und Andersdenkende ausgeschaltet, jüdische Mitbürger ausgegrenzt und das Volk gleichgeschaltet. Widerständler saßen im KZ. Juden, Homosexuelle, Jehovas Zeugen und andere wurden entrechtet, verfolgt, eingesperrt und ermordet. Bis zur Befreiung 1945 folgten weitere Verbrechen und unbeschreibliche Gräueltaten.
ZWANGSARBEIT IN HAMBURG

Im Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ vom 11. August 2000 regelt der Deutsche Bundestag endlich Entschädigungen an ehemalige ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die während des Nationalsozialismus im Deutschen Reich arbeiten mussten. In der Hansestadt wurden in der Zeit von 1939 bis 1945 mehrere hunderttausend Ausländer zur Arbeit gezwungen. Als zivile Arbeitskräfte, als KZ-Häftlinge und als Kriegsgefangene haben sie in Rüstungsunternehmen, in Betrieben der hamburgischen Gemeindeverwaltung, auf Baustellen und in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Nur zivile Personen können Ansprüche anmelden. Zum Beispiel KZ-Häftlinge. Das Hamburger KZ Neuengamme wurde 1938 eingerichtet, und gehörte zu den zentralen Lagern im norddeutschen Raum. Hier wurde „Vernichtung durch Arbeit“ betrieben. Der Tod der Häftlinge unter vorheriger Ausnutzung ihrer Arbeitskraft war beabsichtigt.

Zusätzlich wurden Außenlager eingerichtet, in Hamburg mindestens 16. Bis 1945 hatte wohl jeder größere Werftbetrieb ein eigenes KZ: z. B. Blohm & Voss, Stülcken, die Howaldts-Werke AG und die Deutsche Werft. Schon vorher hatte die Werft Zwangsarbeiter zur Sklavenarbeit benutzt. Sie wurden aus allen Teilen der besetzten Gebiete herangekarrt. Auf der Deutschen Werft schufteten Zwangsarbeiter aus den Niederlanden, aus Frankreich, aus der Ukraine, aus Russland und aus Polen. Am Ende wurde die Wirtschaft in großen Teilen nur noch durch Sklavenarbeit aufrechterhalten.

Oft wurden ganze Dörfer abtransportiert und die Familien landeten in Unterkünften neben oder auf den Betriebsflächen. Erst als der „Nachschub“ aus den Ostgebieten stockte, wurden verstärkt die KZ-Außenlager eingerichtet, um den Betrieben den „Ausfall“ an Arbeitskräften zu ersetzten. Hierher kamen auch die Häftlinge aus den großen Vernichtungslagern im Osten, die auf der Flucht vor den Russen geräumt wurden. Das KZ-Außenlager Deutsche Werft wurde im Oktober 1944 eingerichtet. Neben den Arbeiten auf der Werft mussten die Häftlinge nach den Bomben-Angriffen aufräumen und Trümmer beseitigen. Für diese Arbeit wurden auch Jugendliche aus den gleichgeschalteten Verbänden herangezogen und lernten so das perfide Häftlingssystem kennen. Auf dem Gelände des KZ-Außenlagers Deutsche Werft lebten nach Augenzeugenberichten vorher polnische Familien, die dann am Finksweg in Baracken umgesiedelt wurden. In der Nähe der jetzigen Badeanstalt existierte nach begründeten Vermutungen auch ein russisches Frauenlager.
Zwangsarbeiterinnen

Zu den Elementen der Zwangsarbeit gehörten neben der zwölfstündigen Arbeit die permanente Lebensbedrohung durch Misshandeln, Hunger, Kälte und fehlende Hygiene.

Frau Lydija Grigorjevna Kaschkina aus Sankt-Petersburg wohnte im Krieg in Lubni in der Ukraine und wurde als 14jährige im Februar 1942 nach Deutschland verschleppt und auf Finkenwerder in ein Zwangsarbeiterlager gesteckt. Das Lager war mit Stacheldraht umzäunt und bewacht. Jeden Morgen wurden die Halbwüchsigen in Schuten geladen und an die Arbeitsplätze im Hafen gebracht. Dort mussten sie dann Steine in Waggons schaufeln, Eisenbahnschwellen tragen und einlagern. Die medizinischen und hygienischen Verhältnisse waren miserabel, sie hungerten und froren erbärmlich. Ganz schreckliche Erinnerungen verbindet Frau Kaschkina mit den Bombenangriffen. Sie wurden während der Angriffe in die Schuten verfrachtet und ungeschützt auf der Elbe hin und her transportiert.

Frau Tatjana Spiridonona Doduch konnte das Mahnmal und das Gelände der Deutschen Werft an 22.10.2002 mit ihrer Tochter besuchen. Im Rahmen des Besuchsprogramms des Senats für diese Menschen. Hamburg ist die Geburtsstadt der Tochter Galina. Frau Doduch und ihr Ehemann schufteten ab dem 10. September 1944 als Zwangsarbeiter auf der Werft. Am 27.12. 1944 gebar sie in der Frauenklinik Finkenau die Tochter. Ihr Mann wurde von ihr getrennt und in das Lager „Langer Morgen“ gebracht, wo er am 22. März 1945 umkam. Ein Grab des Vaters konnte Frau Doduch Galina nicht zeigen.

Die Leiden der Kriegsgefangenen, der Zwangsarbeiter und der KZ-Häftlinge haben viele Finkenwerder als Augenzeugen miterlebt und bis heute nicht vergessen. Andere wiederum können sich nicht erinnern, Dritte möchten nicht erinnert werden. Was damals geschah, ist aber nicht vergangen. Die Jugend hat ein Recht darauf, zu erfahren wie mitten unter uns Menschen ihre
Würde, ihre Rechte, ihr Leben verloren, weil sie als „Feinde“ oder „minderwertig“ galten. Erinnern aus Verantwortung für die Vergangenheit und für die Zukunft

Die diesjährige Gedenkveranstaltung findet am 11. November 2002 statt. Sie beginnt mit einer Kranzniederlegung am Mahnmal Ecke Rüschweg/Rüschwinkel um 18.00 Uhr
Ab 18.30 Uhr folgt im Ortsamt Finkenwerder, Butendeichsweg 2, gr. Sitzungssaal, 2. Stock, zum Thema Zwangsarbeit ein Vortrag von Friederike Littmann, Institut für Zeitgeschichte sowie szenische Lesungen und Dokumentationen mit Berichten von Zeitzeugen.

V.i.S.d.P.: Finkenwerder Arbeitskreis Außenlager Deutsche Werft des KZ-Neuengamme, c/o H. Kaufner, Carsten-Fock-Weg 12, 21129 Hamburg