Judenpogrome 9./10. November 1938

08. November 2012 Gedenkveranstaltung. 18:00 Uhr Mahnmal Kranzniederlegung. 19:00 Uhr Musiksaal Stadtteilschule Finkenwerder: Szenische Lesung „Adressat unbekannt“.
Judenpogrome 9./10. Nov. 1938

Die Novemberpogrome waren Vorboten schrecklicher Angriffskriege und unbeschreiblicher Gräueltaten. Der Arbeitskreis nimmt dieses Datum zum Anlass, aller Opfer der Nazis zu gedenken. Regimegegnern wie Gewerkschaftern, Kommunisten und Sozialdemokraten, rassisch verfolgten Juden, Sinti und Roma, sowie Osteuropäern, Unangepassten, Homosexuellen, Bibelforschern und Behinderten. Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme vermochten es die Nazis das parlamentarische Leben auszuhebeln und wichtige Grundrechte der Weimarer Verfassung ausser Kraft zu setzen. Wer der Ideologie der Nazis nicht folgen konnte oder wollte, war dem Willkürsystem nunmehr schutzlos ausgeliefert. Ein System von Terror und Angst sowie eine fast hysterische Begeisterung und Unterstützung für das „Dritte Reich“, vom allem durch die sogenannten „Eliten“, verhinderte in den ersten Jahren einen wirksamen Widerstand, bis es zu spät war.
Massnahmen zum Schutz von „Volk und Staat“

Kurz nach dem Reichstagsbrand am 27.02.1933 begannen die Nazis mit Aktionen gegen die von ihnen verfolgten Bevölkerungsgruppen. Einige Daten dazu:
28.02.1933, Massenverhaftungen von Kommunisten und Sozialdemokraten.
24.03.1933, das Ermächtigungsgesetz beseitigt die Gewaltenteilung, das Parlament wird entmachtet
01.04.1933, Boykott jüdischer Geschäfte und Aktionen gegen jüdische Ärzte und Anwälte. 07.04.1933, „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, SPD- , KPD- und nichtarische Mitglieder werden aus dem Öffentlichen Dienst entlassen.
1933/1934, der „Arierparagraph“ wird ausgedehnt auf Berufsvereinigungen, den Kammern, Turn- und Sportvereinen, der Wehrmacht und Studienabschlüsse.
01.01.1934, das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchs“ tritt in Kraft. Die von Ärzten und Pflegekräften gemeldeten Personen werden zwangssterilisiert.
15.09.1935, die Nürnberger Gesetzte verbieten Juden die Eheschließung mit nichtjüdischen Partnern und stellen auch außerehelichen Verkehr zwischen solchen Partnern unter Strafe.
Herbst 1935, in Finkenwerder werden die Bibelforscher (Jehovas Zeugen) verhaftet und 1936 verurteilt.
10.10.1936, Errichtung der Reichszentrale zur zentralen „Erfassung und wirksamer Bekämpfung“ von Abtreibung und Homosexualität.
28.10.1938, bis zu 17.000 Juden polnischer Herkunft werden über die Grenze nach Polen abgeschoben.
9./10. Nov.1938, das Attentat auf den deutschen Legationsrat in Paris durch den 17jährigen Herschel Grynszpan dient der NSDAP als Vorwand einen reichsweiten Pogrom anzuzetteln. 01.09.39, Überfall auf Polen. Die „Euthanasie“-Ermächtigung erhält das gleiche Datum. Überall im Land werden Kinder und Erwachsene Patienten getötet.
12.07.1940, nach § 175 verurteilte Homosexuelle werden nach der Haft ins KZ verschleppt.
Herbst 1940 erste Deportationen von Juden, Sinti und Roma beginnen. Deportierten Juden wird das Vermögen konfisziert, Auswandern ihnen verboten.
20.01.1942, auf der Wannsee-Konferenz koordinieren die Vertreter der Reichsbehörden und der SS die Ermordung der europäischen Juden.
Ab 1943, alle noch im „Altreich“ verbliebene arbeitsfähigen „Volljuden“ ‚Sinti und Roma werden in die Vernichtungslager deportiert.
08.05.1945 die deutsche Wehrmacht kapituliert.
Finkenwerder Arbeitskreis Außenlager Deutsche Werft des KZ Neuengamme

Unter diesem Namen gründete sich kurz nach der Einweihung des Mahnmals am 16. Dezember 1996 eine Initiative mit dem Ziel, diesen Teil der verdrängten Ortsgeschichte zu erkunden. Treibende Kraft war das Ehepaar Ingeborg und Karl-Heinz Luth. Sie hatten bei der Einweihung Kontakt zu dem anwesenden Ex-Häftling Ernst Nielsen aufgenommen und von ihm viel über das Lager und die Haftbedingungen in Finkenwerder erfahren. Bereits im November 1998 konnte der Arbeitskreis dank inzwischen gesammelter Augenzeugenberichte anlässlich des 60gsten Jahrestages der Pogrome eine öffentliche Veranstaltung zum Thema durchführen. Viele Finkenwerder erhielten dadurch zum ersten Mal Kenntnis von der Existenz und den Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge am Rüstungsstandort Finkenwerder während der Nazizeit.
Seitdem informiert der Arbeitskreis regelmäßig über die Ergebnisse der Recherchen zumThema und begleitet die von Senat und Bürgerschaft eingeladenen nach Fkw verschleppten ehemaligen
KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter auf ihrer Spurensuche vor Ort. Die Novemberveranstaltung verbindet der Arbeitskreis mi einer Kranzniederlegung am Mahnmal. An dieser Veranstaltung beteiligen die Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Nikolai, das kath. Kloster Karmelzelle und sämtliche im Finkenwerder Regionalausschuss vertretenen Parteien mit einer Kranzspende.
Manche meinen, nun müsse Schluss sein mit der Vergangenheit und Schuldvorwürfen. Aber es geht gar nicht um Schuld. Es geht um Respekt vor dem Leiden und den Schicksalen der Opfer. Es geht um Verantwortung für die Zukunft. Fremdenfeindlichkeit und antisemitische Aktivitäten, hier sei an die NSU-Morde oder an den jüngsten Überfall auf einen Rabbiner in Berlin erinnert, klingen wie das unheimliche Echo ausder Vergangenheit. Sie zeigen wie wichtig die Erinnerung an die Vergangenheit bleibt!

„Adressat unbekannt“

Die in der NS-Zeit begangenen Verbrechen erschütterten die ganze Welt. Die Anzahl der ermordeten und gequälten Menschen, die Grausamkeit und Perfektion, mit der die Verbrechen begangen wurden, schienen unvorstellbar. Doch sie geschahen nicht heimlich, sie vollzogen sich vor der Weltöffentlichkeit. Und bereits September/Oktober 1938 – bevor das ganz große Morden begann -veröffentlichte die New Yorker Zeitschrift Story unter dem Titel „Adressat unbekannt“ einen fiktiven Briefwechsel der Autorin Kressmann Taylor, der sofort ungeheures Aufsehen erregte. Innerhalb von zehn Tagen war die gesamte Auflage ausverkauft.1939 brachte Simon & Schuster den schmalen Text als Buch heraus. In einer Besprechung hieß es:“ Es ist die stärkste Anklage gegen den Nationalsozialismus, die man sich vorstellen kann“.

Die Aufmerksamkeit der Journalisten und Leser galten einer unbekannten Autorin, die als Werbetexterin gearbeitet hatte, bevor sie ihre Anstellung aufgab, um für ihre drei kleinen Kinder zu sorgen. Sie erläuterte damals die Entstehung wie folgt: Der Text basiere auf einigen tatsächlichen geschriebenen Briefen, auf die sie gestossen sei und zur der fiktiven Form umgearbeitet habe. Später geriet der Text in Vergessenheit.

Die neonazistischen Strömungen in wiedervereinten Deutschland, dass erneute Aufkommen von antisemitischen Haltungen in Osteuropa und die zunehmende Popularität der weissen Nationalisten in den USA sowie die grassierende Fremdenfeindlichkeit in vielen Ländern der Welt veranlasste Story den Text 1992 noch einmal abzudrucken. Wieder erregte die Geschichte außergewöhnlich lebhaftes Interesse bei den Lesern. Nach 1995 erschien es als Buch auch in Frankreich und gelangte dort in die Bestsellerlisten
In Deutschland wurde es viel gelesen, gelobt und rezensiert, aber es hat noch eine viel größere Öffentlichkeit verdient. Denn nie wurde das zersetzende Gift des Nationalsozialismus eindringlicher beschrieben.

Der schmale Roman ist ein literarisches Meisterwerk von beklemmender Aktualität. Gestaltet als Briefwechsel zwischen einem Deutschen und seinem amerikanischen, jüdischen Geschäftspartner in den Monaten um Hitlers Machtergreifung beschreibt der Roman in grosser Schlichtheit die dramatische Entwicklung einer Freundschaft. „Welche Hellsichtigkeit! Und welche Kraft!“, urteilte eine Rezension.

Der Fkw Arbeitskreis dankt der Schüler-Theater-AG in Finkenwerder unter Leitung von Uwe Tesch für die Bearbeitung, Gestaltung und szenische Lesung des Textes. V.i.s.d.P.: Finkenwerder Arbeitskreis Außenlager Deutsche Werft des KZ Neuengamme, Helmke Kaufner, Carsten-Fock-Weg 12, 21129 Hamburg