75. Jahrestag der November-Pogrome 1938 – Erinnerung und Mahnung

10. November 2013
Der Tuchhändler Hermann Rimberg
Herr Rimberg besaß in der Elbstraße 96 nicht nur einen Tuchhandel, sondern führte in Finkenwerder zunächst gemeinsam mit seinem Kompagnon Auerbach auch einen Laden für Stoffe und Kurzwaren am Fkw. Norderdeich 20. Bis Nov. 1938 hatte er ihn weitgehend ausgeräumt und die Waren an seine Kunden in Finkenwerder verschenkt. Er entkam den Pgromen mit seiner Frau und seine beiden Kinder Max und Mary. Sie waren bereits nach N.Y. emigriert.
VERNICHTUNG DURCH ARBEIT

Der Rassenwahn und Vernichtungswille der Nazis richtete sich nicht allein gegen Juden, sondern umfasste sämtliche Feinde der Nazi-Ideologie, wie Kommunisten, Sozialisten, „Volksschädlinge“, Unangepasste, Liberale, Homosexuelle, Sinti und Roma und nach September 1939 insbesondere die osteuropäischen Völker. Sie wurden in großer Zahl umgebracht, vertrieben, versklavt und nach Deutschland verschleppt. Da Finkenwerder ein wichtiger Rüstungsstandort war, schufteten viele Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge aus ganz Europa während des Krieges unter teilweise unmenschlichen Bedingungen auf den Baustellen und Betrieben im Stadtteil. Die schwere körperliche Arbeit verbunden mit mangelhafter Ernährung, unbeschreiblichen hygienischen Bedingungen und unzureichender ärztlicher Versorgung überlebte eine unbekannte Anzahl dieser Menschen nicht. Einige wenige von ihnen wurden, da direkt vor Ort an den Folgen gestorben, auf dem Alten Friedhof Finkenwerder verscharrt. Mit einer Liste dieser Personen konnten wir feststellen, dass ihre sterblichen Überreste 1957 nach Ohlsdorf überführt wurden, wo sie endlich, soweit namentlich bekannt, mit Daten auf einem Grabstein eine angemessene letzte Ruhestätte erhielten.
AUFGETAUCHT

Ab 1941 begann die Deutsche Werft auf Befehl der Wehrmacht (Oberkommando Kriegsmarine) mit dem Bau des U-Bootbunkers, der im zweiten Abschnitt 1944 auf fünf Kammern erweitert wurde. Insgesamt wurde die enorme Menge von 130 000 Kubikmetern Stahlbeton mit einem Gewicht von 263 000 Tonnen verarbeitet. Der Bunker hatte extrem massive Wände und die Decken waren 3,50 und vier Meter dick. Die gesamte Bunkeranlage hatte eine Abmessung von 150 x 200 Meter. In den Boxen wurden die U-Boote ausgerüstet, repariert und gewartet. An den U-Booten wurden auch die Mannschaften ausgebildet. Erst als die Alliierten durchschlagskräftigere Bomben bauen konnten, durchbrachen Treffer die Bunkerdecke. Dabei starben 58 Menschen und 120 wurden verletzt. Kurz darauf war der Krieg ohnehin zu Ende. 1946 versuchten die Briten eine Sprengung. Dabei stürzte die Decke ein, die Seiten und Zwischenwände blieben weitgehend erhalten. Nach dem Abtrag auf 5.70 über NN, der Verfüllung und der Erhöhung der Bunkerfläche 1996 wurden die Reste unsichtbar. Erst als 2002 im Zuge der Start- und Landebahnverlängerung für Airbus der Berg abgetragen wurde, tauchte die monströse Ruine wieder auf. Die städtische Realsierungsgesellschaft ReGe entschloss sich, eines der letzten Zeugnisse des faschistischen Regimes in Finkenwerder als Denkmal herzurichten. Das Denkmal wurde 2006 der Öffentlichkeit übergeben als Erinnerung und Mahnung.
Die November-Pogrome 1938
Das Attentat auf Ernst vom Rath

Ein verzweifelte junger Mann, Herschel Grynszpan, geboren in Hannover, war mit 14 Jahren 1935 zu Verwandten nach Paris emigriert, weil es in Deutschland keine Zukunft mehr für Juden gab. Er hörte dort, dass die Nazis seine Eltern 1938 mit zigtausenden weiteren polnischen Juden und. deutschen Juden mit polnischen Wurzeln zwangsweise und unter erbärmlichen Zuständen an die polnische Grenze deportiert hatten. Er besorgte sich einen Revolver und schoss am 07. November 1938 in der deutschen Botschaft auf den Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath, der am 09. November an den Schussverletzungen starb. Die führenden NS-Vertreter hielten sich zu diesem Zeitpunkt in München auf, wo das traditionelle Treffen zur Erinnerung an den 1923 gescheiterten Putsch stattfand. Die Verzweiflungstat war willkommener Anlass für das Regime, den „Volkszorn“ zu organisieren, als „Vergeltungsaktion“ zu deklarieren und damit in der Nacht vom 09. auf den 10. im gesamten Reich zu beginnen. „Hauptziel“, so der Judenreferent im Auswärtigen Amt, Dr. Emil Schumburg, „der deutschen „Judenpolitik“ sei nun die Auswanderung aller im Reichsgebiet lebenden Juden.“
ALS MORD ERLAUBT WAR (RAPHAEL GROSS)

„Das Jahr 1938 steht für eine neue Dimension der Gewalt gegen Juden, für den Übergang von der Diskriminierung und Entrechtung zur systematischen Verfolgung, Beraubung und Vertreibung. Massiv waren die öffentlichen Gewaltexzesse schon in Wien, beim sogenannten Anschluss Österreichs am 12. März 1938. Den Einmarsch begleiteteten heftige antisemitische Ausschreitungen. Wenige Monate später wurden während der sogenannten Juni-Aktion über 1500 jüdische Männer verhaftet und in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsen-hausen verschleppt, wo sie brutalsten Misshandlungen ausgesetzt waren. Und schließlich die „Reichskristallnacht“. In der deutschen Geschichte gibt es nichts, was mit den Pogromen im November 1938 vergleichbar wäre. Niemals zuvor wurde das staatliche Gewaltmonopol in aller Öffentlichkeit in die Hände einer antisemitischen „Volksgemeinschaft“ gelegt. Niemals standen Hunderttausende Jüdinnen und Juden einer derart aufgehetzten Bevölkerung gegenüber und mussten Schläge und Erniedrigungen, Totschlag und Mord, die Zerstörung ihrer Häuser, Geschäfte und Wohnungen erleiden.

Ein öffentlichlicher Vorgang, kein Geheimnis – eine erste Katastrophe vor der Katastrophe. Mehr noch als das Jahr 1933 und die sogenannte Machtergreifung Hitlers bildet daher der November 1938 eine Zäsur in der Geschichte.“ In Auszügen zitiert aus dem Beitrag von Raphael Gross in der FAZ vom 30 August 2013. V.i.S.d.P.: Helmke Kaufner, Carsten-Fock-Weg 12, Hamburg